Erneuerer der Bildhauerei und Schlüsselfigur der abstrakten Skulptur Rodins „Denker“ und Arps „Ptolämeus III“ als Empfangsduo im Arp Museum

Blick in die Ausstellung. Foto: Peter Köster

Remagen. Im Foyer werden die Besucherinnen und Besucher von zwei ganz besonderen „Gastgebern“ empfangen. Rodins berühmter „Denker“ und „Ptolämeus III“, ein Spätwerk des Hauspatrons Hans Arp. Wer das Arp Museum Bahnhof-Rolandseck betritt, findet sich inmitten zweier ikonischer Werke, die vom Wandel und den Umbrüchen in der Bildhauerei im 19. und 20. Jahrhundert erzählen. Sie bilden den Auftakt der Ausstellung „Rodin / Arp“, die bis zum 14. November in Remagen gezeigt wird.

Auguste Rodin: „Der Denker“, 1903, Kunsthalle Bielefeld. Foto: Peter Köster

Viele Dimensionen prallen aufeinander

Die Gemeinsamkeiten sind nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Zu viele Dimensionen prallen hier aufeinander. Ineinander verschlungene Figuren, runde, glatte Formen und offene Körper. Dennoch finden die beiden bedeutenden Bildhauer Auguste Rodin (1840-1917) und Hans Arp (1886-1966) im Dialog zueinander. Das Œuvre des großen Erneuerers der Bildhauerei des späten 19. Jahrhunderts, der mit seiner Ästhetik des Fragments bis heute Künstlergenerationen beeinflusst, trifft auf das Werk einer absoluten Schlüsselfigur der abstrakten Skulptur des 20. Jahrhunderts. Zum ersten Mal treffen in einer dialogischen Museumsausstellung zwei der wichtigsten Neuerer der Plastik ihres jeweiligen Jahrhunderts aufeinander. Über 100 Werke aus unzähligen Museen und Sammlungen zeigen ungeahnte Verwandtschaften zwischen den beiden Vorreitern der modernen Bildhauerei. „In dieser posthumen Begegnung werden die bahnbrechenden ästhetischen Umwälzungen der Moderne greifbar“, so Direktor Dr. Oliver Kornhoff.

Claudia Seiffert, stellvertretende Direktorin des Arp Museums, neben Rodins berühmten Werk „Der Kuss“, 1882. Musée des Beaux-Arts, Lyon, © Lyon MBA, Foto: Peter Köster

Sentimentale Zuspitzung

Auch wenn nicht gesichert ist, dass sich die beiden Künstler zu Lebzeiten jemals begegnet sind, finden sich in der einfühlsamen Gegenüberstellung der Werke viele inhaltliche Bezüge. Beide interessierten sich für die Seele als Schatten, nahmen ihre Inspiration aus der Mythologie, setzten sich mit Themen wie Schöpfung, Wachstum, Verwandlung und Verfall auseinander und sahen in der vermeintlichen Unvollkommenheit ein Ideal. Was Rodin sentimental zuspitzt, kommt bei Arp mitunter parodistisch daher. Ist die Figur am Zerfließen oder gerade am Entstehen? Ist die Wölbung eine Brust oder eine Knospe? Immer wieder nehmen Rodin und Arp die Natur als Vorbild und den weiblichen Körper als Ausgangspunkt. Beide lieben markante Posen und runde, sinnliche Formen.

Rodins Skulpturen wie „Der Kuss“ erwecken das Verlangen zur Rundumansicht. Die Ausstellung, die zunächst in der Schweizer Fondation Beyeler zu sehen war, entstand im engen Austausch zwischen der Kuratorin Astrid von Asten (Arp Museum) und dem Kurator Dr. Raphaël Bouvier (Fondation Beyeler). Zum Gelingen des umfangreichen Ausstellungsprojektes trug zudem das Musée Rodin in Paris bei. Welche Aktualität die Werke des Künstlers heute noch besitzen, erläutert die Direktorin Amélie Simier: „Auguste Rodin revolutionierte die Bildhauerei. Seine Ideen wie das Kunstwerk vom Sockel zu heben oder die Schönheit im Unvollendeten, im Non finito, zu suchen, begeistern bis heute Menschen auf der ganzen Welt.“

Auguste Rodin inmitten seiner Skulpturen im Pavillon de l’Alma, Meudon, um 1902. © Agence photographique du musée Rodin. Foto Peter Köster

Werke in Paaren und Gruppierungen

Der innovative Mut Auguste Rodins beeindruckte den knapp ein halbes Jahrhundert später geborenen Hans Arp nachhaltig. Davon zeugen seine literarischen wie künstlerischen Auseinandersetzungen mit Rodin. Der Dialog zwischen Rodin und Arp ist von überzeitlicher Aktualität. „Frei von akademischen Zwängen stehen beide am Beginn einer jeweils neuen Ära der Bildhauerei,“ betont die Kuratorin Astrid von Asten. Dabei verbinde sie eine Reihe signifikanter bildkünstlerischer Prinzipien, die der Jüngere konsequenterweise in die Abstraktion führe. Die Schau bringt Werke in Paaren und Gruppierungen zusammen, die formale, thematische sowie konzeptionelle Bezüge erlebbar machen. Dieses offene und freie Zusammenspiel akzentuiert bestimmte künstlerische Aspekte. Vis-a-vis mit den Skulpturen offenbart sich die Kongenialität der beiden Künstler. Mit jedem Umschreiten, Hinsehen und Beobachten werden neue Assoziationen geweckt und originelle Bezüge sichtbar.

Hans Arps Hommagen

Bereits 1907 erwähnt der junge Hans Arp lobend die Rodin’schen Plastiken in drei Rezensionen über die Ausstellung von Werken französischer Künstler der Gegenwart, die im Palais Rohan stattfand. Im Kabinettraum des Arp Museums lässt sich anhand diverser Aktzeichnungen Rodins dessen Einfluss auf Arps zeichnerisches Schaffen nachvollziehen. Einige Zeichnungen ähneln auf signifikante Weise den Grafiken Rodins. Arp huldigt dem Star des späten 19. Jahrhunderts, mit seiner 1938 geschaffenen Kleinplastik „Automatische Skulptur“. Sie trägt die Widmung an Rodin in ihrem Namen.

Hans Arp in seinem Atelier inmitten seiner Skulpturen, Clamart, 1954, © bpk / Ministère de la Culture – Médiathèque du Patrimoine, RMN-Grand Palais / Denise Colom. Foto Peter Köster

Fragment und Torso

Das Thema des Fragments und das Fragmentieren als schöpferischer Prozess sind in den Œuvres beider Bildhauer präsent. Ab dem 19. Jahrhundert änderte sich die Auffassung darüber, wie die Darstellung des menschlichen Körpers zu gestalten sei. Als Gegenpol zu den bisher stark idealisierten und unversehrten Körpern, traten bruchstückhafte Gestalten wie der Torso in den Fokus der Aufmerksamkeit. Mit seiner Vorstellung, dass in einem ausdrucksstarken Fragment die Quintessenz eines ganzen Körpers läge, definierte Rodin die Gattung des Torsos neu und erwies sich damit wegweisend für die Entwicklung der modernen Skulptur, die Arp ganz im Sinne der Abstraktion fortschrieb. Bei der Bearbeitung der Oberfläche unterscheiden sich beide Bildhauer jedoch grundlegend. Rodin fertigte viele seiner Werke mit einer offenen Struktur. Der schöpferische Entstehungsprozess bleibt an der Skulptur ablesbar und betont den fragmentarischen Charakter der Figur zusätzlich. Arp hingegen rundete die Stümpfe vermeintlich fehlender Gliedmaßen häufig ab. Weit entfernt von jeder Versehrtheit erscheinen die prallen Formen beim Torso mit Knospen angefüllt von einer innewohnenden kraftvollen Vitalität, die bereit ist, erneut zu keimen und zu wachsen.

Assemblage und Zufall

Weitere Gemeinsamkeiten offenbaren sich in der Nutzung der Technik der Assemblage, bei der dem Zufall eine wichtige gestalterische Rolle zukommt. Rodin schafft ab den 1890er Jahren radikale und experimentierfreudige Assemblagen: In seinem Atelier lässt er bereits bestehende Gipsformen neu gießen, um sie anschließend zersägen und neu zusammensetzen zu können. Kreiert aus der Figur einer Kauernden und eines Mannes entsteht so die Skulptur „Ich bin schön“, die noch heute durch die ihr innewohnende Bewegung fasziniert. Ebenso waren fragmentarischere Kompositionen möglich, wie die gezeigte Assemblage mit Köpfen und Händen der Bürger von Calais nach Reduktion und geflügelte Figur zeigt. Rodin ordnet Abgüsse der Köpfe und Hände seines berühmten Denkmals gänzlich neu auf dem Boden an und erschafft damit eine innovative Komposition. Die Assemblagen „Torso der Kentaurin“ und „Studie für Iris“ setzt sich ebenfalls aus zwei Körpern aus Rodins Formenrepertoire zusammen, die im Zusammenspiel ganz neue Deutungen zulassen. Für Hans Arp war der Zufall wenig später ein wesentliches Schaffensprinzip. Wie stringent Arp das „Gesetz des Zufalls“ befolgte, offenbart sich unter anderem in seinen während der 1920er Jahre gefertigten Reliefs. In letzter Konsequenz offenbart sich Arps Radikalität jedoch in dem 1964 geschaffenen Werk Verwandlung des Reliefs „Kopf mit grüner Nase“ von 1923 bei dem er eines seiner Reliefs vollkommen zerlegt und neu zusammenführt.

„Ptolämeus III“, ein Spätwerk des Hauspatrons Hans Arp. Foto: Peter Köster

Naturnahe Entstehungsprozesse

Der Zufall ist nicht die einzige Maxime, die beiden Künstlern gemein ist. Rodins Ziel war es das innere Wesen seiner Modelle ebenso in der äußeren Form widerzuspiegeln und seine Skulpturen dadurch zu beleben. Die Natur war für ihn grundlegende Inspirationsquelle, die möglichst unverfälscht abgebildet werden sollte. Daher nahmen seine Aktmodelle keine festgelegten Posen ein, sondern bewegten sich so lange durch das Atelier, bis eine Haltung oder Geste die Aufmerksamkeit Rodins erregte. Auch Arp verurteilte es, äußere Erscheinungsformen der Natur zu imitieren. Seine Idee, dass künstlerische Formen entstehen müssten, wie eine Pflanze, die Früchte bildet, führt Rodins Naturkonzeptionen auf einer abstrakteren Ebene fort. Mit Hans Arps Skulptur „Wachstum“ begegnet uns eine Figur mit einem elegant gewundenen Körper, die zwischen menschlichen und pflanzlichen Formen ändert. Wo bis dato die menschliche Figur die Bildhauerei dominierte, erneuert Arp die Skulptur, indem er, wie bei Landschaft oder Frau, Elemente von natürlichen Landschaften mit der menschlichen Figur verknüpft. „Rodin/Arp“, ist eine Ausstellung, die man unbedingt gesehen haben muss. Wer weiß, ob sie in dieser Form noch einmal so auftritt. Peter Köster