Die Postmoderne befindet sich im Übergang zu einem Neuen Realismus

Dr. Waldemar Ritter

Jetzt saß ich in einer bayrischen Therme und setze mich mit dem „Neuen Realismus“ auseinander, der helfen kann, um diese These  vom Kopf auf die Füße zu stellen. Ansätze dafür hat es ja schon vor dem ersten Weltkrieg, der „Urkatastrophe“ des vergangenen Jahrhunderts – das 1914 begann und 1989/90 endete – bei Schellings Widersetzung gegeben, den wir Studenten dann an der Freien Universität Berlin noch vor dem Mauerbau gegenüber der Postmoderne  und gegen rechts- und linksextreme Ideologien wieder diskutiert haben.

Es ist sicher kein Zufall , dass der italienische Philosoph Maurizio Ferraris bei einem Vortrag von Hans Georg Gadamer gerade zwei Jahre nach dem Mauerfall ,wie „vom Blitz getroffen“ war: „Das Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache, ist falsch.“ Ferraris löste sich von der Theorie des „schwachen Denkens“, dessen postmoderner Relativismus den politisch  rechten Populismus hervor gebracht  hat. In einem Artikel über „Die Rückkehr des starken Denkens“, der noch vor seinem „Manifesto del nuowo realismo“ 2012  erschien schreibt er: „Der Fehler der postmodernen Denker, beruht auf der Verwechselung von Ontologie und Epistologie, zwischen dem,, das da ist, und dem, das wir von dem, das da ist, wissen“. Um zu wissen, dass Wasser die Verbindung H2O sei, benötigt man zwar Sprache und Kategorien, „Aber Wasser nässt und Feuer brennt , ob ich das weiß, oder nicht weiß, unabhängig von Sprachen und Kategorien.“ Denn „das Sein ist nicht etwas vom Denken konstruiertes, sondern es ist gegeben, bevor das Denken Anfang hat.“

                                             „Wasser macht nass, und Feuer brennt

                                             -unabhängig davon,

                                              ob ich das weiß oder nicht weiß“

Jetzt hat Ferraris mit seinem kleinen Buch „Realismo positivo“ noch einmal klar gemacht, worum es geht und worum nicht:

Descrizione

Es klingt banal, aber man sollte es nicht vergessen: Die Realität rettet und nicht die Illusion. Und Realist sein bedeutet ja absolut nicht, die Welt so zu akzeptieren wie sie ist beziehungsweise die Dinge nicht resigniert dulden, die nicht in die von uns vorgestellte Richtung laufen. Es geht vor allem darum zu verstehen, dass die Dinge existieren und zweifellos standhalten. Dabei bieten die Anregungen Chancen, Möglichkeiten. Die größte Chance, die allen anderen zu Grunde liegt, ist die Anteilnahme an einer gar nicht flüssigen oder ätherischen Welt, die festen Boden bietet, auf dem wir alles riskieren, angefangen bei dem, was uns glücklich oder unglücklich macht.

Dieser positive Realismus wird von Ferraris zum Ausdruck gebracht in dem er nicht nur über Philosophie, sondern auch über Literatur und Aktualität redet und er führt  auch einen Dialog mit der analytischen Philosophie.

Die Postmoderne befindet sich in einem Übergang  zu einem „New Realism“ . Wir sehen dafür mehr als Anzeichen nicht nur in der Kunst oder Literatur, sondern ebenso in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, in der Philosophie und der Bildwissenschaft, in der Soziologie, der Naturwissenschaft und besonders in der Rechts-, Geschichts- und Politikwissenschaft. Sichtbar bereits auch in Politik und Wirtschaft.

Die Realismusdebatte wird  inzwischen von Wissenschaftlern in der ganzen Welt geführt. Herausragend der Mexikaner Manuel De Landa, der US-Amerikaner Graham Harman, der Argentinier Jose Luis Jerez, und der junge kongeniale Shooting-Star unter Deutschlands Philosophen, Markus Gabriel aus Bonn. Als jüngster Philosophieprofessor für Erkenntnistheorie hat der mittlerweile 33-jährige einen akademischen Bestseller vorgelegt, der vor Selbstbewusstsein nur so strotzt und das Parlando der hinlänglich bekannten Talkshow- und Gastkommentarmonopolisten nicht nur seiner Zunft ziemlich altbacken aussehen lässt.  Nicht weniger als das Vorhandensein „der Welt“ stellt er in Abrede und erklärt gleichzeitig, dass es dafür alles andere gebe, Haarausfall, Toilettenspülungen und Einhörner auf dem Mond inklusive.

Es gibt nicht eine Welt, sondern ganz viele verschiedene Perspektiven auf die Welt. Aber nicht alles ist konstruiert, sondern die Welt existiert unabhänig von der menschlichen Wahrnehmung, unabhängig von dem Bild oder der Vostellung, die wir Menschen uns von ihr machen. Ana Texeira Pinto erkärt diesen neuen Standpunkt so: „Die Welt existiert mit oder ohne uns, und ihre Struktur hat keine Beziehung zu unserer begrifflichen Erfassung.“ Banales Alltagswissen? Das ihre Kritiker bisher geheim gehalten haben? Für zeitgeössische Philosophen ein großer Schritt. Gabriel will zusammen mit Ferraris ein neues Zeitalter einläuten, das er deutsch den Neuen Realismus nennt. Dabei ist der Neue Realismus für ihn zunächst einmal nichts weiter als der Name für das Zeitalter nach der Postmoderne, die der Versuch war, radikal von vorne anzufangen, nachdem alle großen Heilsversprechen der Menschheit, von den Religionen über die moderne Wissenschaft bis hin zu allzu radikalen politischen Ideen des linken und rechten Totalitarismus gescheitert waren.

„Die Postmoderne wollte den Bruch mit der Tradition vollziehen und uns von der Illusion befreien, es gebe einen Sinn des Lebens, nach dem wir alle streben sollten. Um uns von dieser Illusion zu befreien, hat sie allerdings nur neue Illusionen erzeugt – insbesondere die, dass wir in unseren Illusionen gleichsam feststecken. Die Postmoderne wollte uns weiß machen, die Menschheit leide seit der Prähistorie unter einer gigantischen kollektiven Halluzination, der Metaphysik.“ Aber „die Metaphysik, als auch der Konstruktivismus scheitern an einer unbegründeten Vereinfachung der Wirklichkeit, indem sie die Wirklichkeit entweder einseitig als die Welt ohne Zuschauer oder ebenso einseitig als die Welt der Zuschauer verstehen.“ Die Welt, die Gabriel kennt ist aber immer eine Welt mit Zuschauer, in der Tatsachen, die sich nicht für ihn interessieren, zusammen mit seinen Interessen und Wahrnehmungen, Empfindungen und so weiter, bestehen. „Die Welt  ist weder ausschließlich die Welt ohne Zuschauer noch ausschließlich die Welt der Zuschauer. Dies ist der Neue Realismus. Der alte Realismus, sprich die Metaphysik, interessierte sich nur für die Welt ohne Zuschauer, während der Konstruktivismus recht narzisstisch die Welt und alles, was der Fall ist, auf unsere Einbildungen gründete. Beide Theorien führen zu nichts.“

                              „Die Welt ist weder ausschließlich die Welt ohne Zuschauer

                                          noch  ausschließlich die Welt der Zuschauer. „

Wir sehen, dass wir mit dem Neuen Realismus des Gabriel „knietief in der Philosophie“ stecken. Seine „Sinnfelder“, deren unendliche Addition ja  nicht zu so etwas wie einem „Weltganzen“ führt, lernen wir nicht  bloß, dass die Existenz eines Nashorns, das in der Wiese steht, durch sein Stehen in der Wiese unstrittig ist (und nicht etwa durch so etwas wie ein „Nashorn an sich“) sondern dass Philosophie die Wissenschaft der Paradoxien ist. Das Denken fungiert bei uns Menschen als eine Art Sonarsystem. Denken ist bei uns der Sinn , der am weitesten reicht. Der Sinn des Lebens ist für Gabriel das Leben selber – immer wieder Sinn suchen und finden können – das ist unsere Bestimmung als Menschen.

„Why Matter matters“? An der großen Debatte, die besonders in Italien, weit über die Wissenschaften hinaus viel öffentliche Aufmerksamkeit erlangt, hat sehr früh auch Umberto Eco teilgenommen, dessen Kantkritik in Ferraris Manifest  ausdrücklich erwähnt wird.

Eco bezeichnet sich inzwischen als „negativen Realisten“, weil man nie sagen könne , ob eine Interpretation defenitiv richtig sei – aber wohl erkennen könne, wenn sie falsch sei. Dennoch hat der kategorische Imperativ von Kant  weiterhin in der Forderung Gültigkeit, die Menschheit  in seiner eigenen Person oder einer anderen niemals als Mittel, sondern Zweck zu behandeln. Daraus folgt, einen Menschen nicht auf ein bestimmtes Merkmal oder eine hervorstechende Eigenschaft zu reduzieren. Das Gespräch, der Dialog ist und bleibt der Ort der Wahrheitssuche und Erkenntnis.

Schreibe einen Kommentar