Bundeskunsthalle zeigt Ausstellung „Farbe ist Programm“ in raumgreifender Architektur – Bildende Kunst als primäres Spielfeld der Schau

Blick in die Ausstellung. Foto: Peter Köster

„Farbe ist Programm“, lautet der Titel einer bemerkenswerten Ausstellung in der Bundeskunsthalle, die in raumgreifender Architektur bis zum 7. August 53 Positionen zum Thema Farbe aus mehr als 100 Jahren offeriert.
„Farbe ist Leben, Erinnerung, Kommunikation, ist Wahrnehmung und Vorstellung, ist das Resultat eines Zusammenspiels von Sehnerv und Gehirn, ist Interpretation und Einbildung. Farbe spiegelt die Psyche ganzer Generationen in verschiedenen Kulturen. Farbe ruft Assoziationen hervor.“ Für Eva Kraus, Intendantin der Bundeskunsthalle, ist die aktuelle Ausstellung „eine Wunschausstellung, mit der ich mich schon seit längerem beschäftigt habe.“ Zentrales Thema von „Farbe ist Programm“ ist die künstlerische Beschäftigung mit der affektiven und repräsentativen Kraft von Farbe. Dabei ist die Bedeutung von Farbe mehr denn je ein komplexes Konstrukt gesellschaftlicher Übereinkünfte geworden. Bildende Kunst ist das primäre Spielfeld dieser Ausstellung, insbesondere ihr Vermögen abstrakte Denkräume zu eröffnen. Der Parcours durch die Ausstellung wie auch die assoziative Herangehensweise sind bewusster Teil der Inszenierung. Diese kann über eine raumgreifende, spezifisch für die große Halle produzierte Architektur erlebt werden, für die im wesentlichen der Künstler Liam Gillick verantwortlich zeichnet.

Mit Beginn des Zeitalters der technischen Reproduzierbarkeit vor über einem
Jahrhundert steigerte sich die Präsenz von Farbe stetig und exponentiell: Eine
regelrechte Invasion von Farbe und ihren zugrunde liegenden sowie sich rasant
ändernden medialen Möglichkeiten fand – und findet noch immer – statt. Sinnbildlich für diesen Prozess kann in der jüngeren Geschichte der Startschuss
stehen, mit dem der damalige Vizekanzler Willy Brandt am 25. August 1967 in
Westdeutschland die Ära des Farbfernsehens einläutete und damit das TV-
Programm sprichwörtlich farbiger machte.

Willelm de Rooij, „Bouquet IX“, 2012. Foto: Peter Köster

Wirkkraft von Farbe

Mit Farbe als künstlerischem Medium und ihrer programmatischen, politischen Dimension beschäftigt sich die Ausstellung „Farbe ist Programm“ anhand von kunst- und kulturgeschichtlichen Exponaten aus weit mehr als 100 Jahren. Thema ist dabei weniger der kunsthistorische Kontext von Farbe oder eine medientechnologische Erkundung des Sujets. Vielmehr geht es um die künstlerische Auseinandersetzung mit der Wirkkraft von Farbe. Diese durchdringt alle Disziplinen, nicht nur ästhetisch und wahrnehmungspsychologisch, sondern auch politisch und ökonomisch. Dazu der Co-Kurator Liam Gillick: „Farbe ist in dieser Ausstellung immer auch ein Träger von Ideen. Farbe ist und ist nicht das, was sie zu sein scheint. Farbe ist ein Mittel, um Widersprüche und Subjektivität auszudrücken.“ Historisch setzt die Ausstellung mit den frühesten Farbfotografien und Farbfilmen an. Zu sehen ist das berühmte Experiment des Physikers James Clerk Maxwell, der anlässlich eines Vortrags über seine Forschungen zur Farbwahrnehmung und Farbenblindheit 1861 das Prinzip der additiven Farbmischung erstmals in Form einer Projektion durch rotes, blaues und grünes Licht bewies. Ein weiterer solcher neuralgischer Moment wird mit einem der ersten handkolorierten Film Annabelle Serpentine Dance aus dem Jahr 1895 veranschaulicht. Er
stellt die betörende Choreografie der amerikanischen Tänzerin Loïe Fuller und
ihre innovative Inszenierung durch farbige Lichtprojektionen auf der Leinwand
nach. Außerdem sind Reproduktionen der botanischen Bilder von Anna Atkins
zu sehen, die als die ersten fotografischen Bilder gelten und schon 1843 in einem Buch veröffentlicht wurden.

Autonomes Gestaltungsmittel

Künstlerinnen und Künstler der klassischen Moderne setzten Farbe in der Architektur als autonomes Gestaltungsmittel ein, wie die bahnbrechenden Farbräume der Avantgardistin Sophie Täuber-Arp zeigen. Beispiel ihre Foyer-Bar „Aubette“ (ab 1926) des Straßburger Vergnügungszentrums. Zu sehen als Teilrekonstruktion. In der Malerei hat sich Anfang des 20. Jahrhunderts die Autarkie von Farbe vollzogen. Als Beispiel ist Wassily Kandinsky zu nennen, der sich durch das Farbhören zum Klangsehen entwickelt hat. Einen historischen Meilenstein schuf der Bauhaus-Künstler Josef Albers (1888–1976). Seine legendäre „Interaction of Color“ von 1963 führt seine jahrzehntelange wahrnehmungspsychologische Untersuchung zur relativen Wirkung von Farbe vor und ist auch wichtig in seiner spirituell-geistigen Dimension. Diese wird auch im Werk des Begründers der Anthroposophie, Rudolf Steiner (1861–1925), deutlich. Von ihm sind zwei große, mit Kreide bemalte Tafeln zu sehen, die seine berühmten und nicht minder berüchtigten Vorträge aus dem Jahr 1921 visualisieren. Helen Frankenthaler (1928–2011) steht als Farbmagierin für eine ganze Generation, deren expressive Farbabstraktionen in Amerika der nüchternen Farbfeldmalerei gegenüberstanden. Auch das Werk von Sam Gilliam (*1933) reiht sich in diese Tradition ein. Seine sinnlich-textile Arbeit offeriert ein ganzes Kaleidoskop an Pigmenten. Die Werke von Etel Adnan (1925–2021) spiegeln ihren Glauben an die Humanität und die Schönheit der natürlichen Welt und erzählen von der „Unschuld der Farbe“.

Sarah Morris War of Roses [Sound Graph] 2019 Foto: Peter Köster
Sprache und Poesie

Die Ausstellung präsentiert künstlerisches Schaffen, wie jenes von KP Brehmer oder Thu Van Tran. Beide verwenden Farbe, um Machtverhältnisse und Wirtschaftsinteressen hervorzuheben, zu hinterfragen und aufzudecken. Gezeigt wird ferner, wie Farbe von Künstlerinnen und Künstlern wie Carsten Fock, Pamela Rosenkranz oder Sophie Calle genutzt wird, um Sprache und Poesie zu verstärken, deren Abwesenheit zu unterstreichen oder neue Formen der Spiritualität zu schaffen. Die immer frische und duftende Blumenpracht von Willemde Rooij (*1969) erzählt als weißes Bouquet in dunklem Ambiente von einer stillen, aber lebendigen Schönheit der Natur und von Individualität in der Schaffenskrise des Künstlers. In der Nähe weist eine zweiteilige Arbeit in Farbe und Spiegel von Blinky Palermo (1943–1977) einen Weg über das Endspiel der Abstraktion hinaus. Im Foyer der Bundeskunsthalle ist eine der enigmatischen Arbeiten von Lawrence Weiner (1942–2021) installiert, die in klaren Worten die Ausstellung jenseits der Galerietüren beschreibt. Mit seinen Farbstudien für Wohnblocks der Nachkriegszeit bringt uns Hans-Albrecht Schilling (1929–2021) zurück in den urbanen Kontext. Franz Erhard Walther (*1939) hingegen reduziert mit Gelb und Blau die Grundlagen der Farbe als mögliche Malerei, indem er zwei Pigmenttöpfe zur Schau stellt und damit gleichzeitig die Malerei abschafft. Peter Köster