Berlinde de Bruyckere im Arp Museum Bahnhof/Rolandseck

Berlinde De Bruyckere, „Lichaam“ (Corps), 2002-2006. Foto: Peter Köster

Remagen. Die belgische Künstlerin Berlinde de Bruyckere gehört zu den international bekanntesten Bildhauerinnen der Gegenwart. Im Arp Museum ist ihr eine große Einzelausstellung gewidmet. Die Ausstellung trägt den Titel: „Pel/Becoming the figure“ und ist bis zum 8. Januar 2023 zu sehen.

Der Tod ist ihr Thema. Das verschreckt auf der einen Seite Betrachterinnen und Betrachter. Andere zieht es in den Bann. Denn so wie die Belgierin Berlinde de Bruyckere (geboren 1964), Mensch und Tier mit Epoxit und Malerei in Wachs nachbildet, hat es fast schon etwas Anrührendes. Nicht der Voyeurismus dominiert, sondern das Mitgefühl und die Reflexion eines verdrängten Tabus.

Im Zwischenreich auf den Höhen des Rheins zwischen Himmel und Erde beherbergen die lichtdurchfluteten Räume des Richard-Meier-Baus mit einer großzügigen und versöhnlichen architektonischen Geste Berlinde de Bruyckeres Kosmos der Erlebbarkeit von Leid, Versöhnung, Hoffnung und Mitgefühl. Ihre zum Teil lebensechten Skulpturen aus Wachs und Kunstharz verkörpern  erstaunliche Metamorphosen von Mensch und Tier.

Menschlich wirkende Häute

Ihr Werk geht buchstäblich „unter die Haut“. Die Oberflächen der Skulpturen sind aus durchscheinendem Wachs, das in tieferen Schichten mit blauen oder blutroten Adern durchzogen ist. Mit diesen sehr menschlich wirkenden Häuten bedeckt die Künstlerin auch Bäume, die dann wie menschliche Organe aussehen. Ihre Skulpturen sind faszinierend und mitreißend zugleich und gehen dem Betrachter Auf diese Weise hat sie 2013 bei der Biennale in Venedig eine riesige gestorbene Ulme als verletzten Giganten inszeniert. Von den alten Meistern, allen voran Lucas Cranach, hat de Bruyckere nicht nur die virtuose Gestaltung der Oberflächen gelernt, sie hat von ihnen auch die Vorliebe für das Eros- und Thanatos-Motiv übernommen. „Lebenstrieb und Todestrieb“.

Berlinde De Bruyckere, „Courtyard Tales“, 2017 – 2018. Foto: Peter Köster

„Pieta“ und „Schmerzensmann“

Berlinde De Bruyckere zitiert in ihrem Œuvre Kunstwerke und Themen der Vergangenheit, um existenzielle Fragen der Gegenwart anzusprechen. Ihre Skulpturenserien menschlicher Körper zum Thema „Pieta“ und „Schmerzensmann“ sind von Lucas Cranach dem Älteren (1472–1553) inspiriert. Die Künstlerin bewundert die sinnliche Intensität und seelische Tiefe seiner Gestalten. Anders als bei Cranachs Zeitgenossen Albrecht Dürer folgen diese keinem idealisierten Menschenbild, sondern offenbaren ihre inneren Zustände und Abgründe. „Seine Leiber sprechen aus, was den Figuren auf der Seele liegt – ihre Ängste, ihre Leidenschaften, ihre Zweifel“, so De Bruyckere.

Seit 1999 spielen Pferde eine herausragende Rolle im Werk von Berlinde De Bruyckere. Sie ist fasziniert von der Schönheit, der Seelenfülle und der Kraft dieser Tiere. Ihre intensive Auseinandersetzung mit historischen Bildern aus den Archiven des In Flanders Field Museums in Ypern ließ sie das grausame Schicksal von Millionen von Pferden visualisieren, die auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs gefallen sind. Anhand von Gusskörpern schuf sie äußerst beeindruckende und berührende Skulpturen.

Berlinde De Bruyckere, „Hurd I“, 2014. Foto: Peter Köster

Dualität bestimmt das Werk

Die im Arp Museum 34 ausgestellten Werke, bestehend aus Collagen, Zeichnungen, Objekten und Skulpturen zeugen von einer einzigartigen emotionalen Tiefe. „Dualität bestimmt das Werk von Berlinde De Bruyckere“, so Kuratorin Jutta Mattern beim Rundgang durch die Ausstellung. Im Zentrum ihres Schaffens liegt der Mensch, den die Künstlerin mit seinen körperlichen und seelischen Wunden zeigt. In ihren Arbeiten setzt sie sich mit antiken Mythologien und christlichen Themen auseinander und adaptiert sie in die Gegenwart. Dem Ausstellungstitel „PEL / Becoming the figure“ entsprechend nähert sie sich dem Werden ihrer Skulpturen auf unterschiedlichste Weise. Die Palette reicht von der körperbildenden Hülle über deren Fragmentierung bis hin zur ausgeformten Körperlichkeit. Mit ihren Darstellungen regt sie die Fantasie an. Ist das ein Pferd, das da auf einem Bock mitten im Raum steht, oder nur eine Ansammlung täuschend echt drapierter Felle?

Berlinde De Bruyckere, „Hurd I“ II, 2014. Foto: Peter Köster

Zehn neue Arbeiten auf Papier

Neben den kreatürlich-skulpturalen Arbeiten von Berlinde De Bruyckere spielen Zeichnungen eine bedeutende Rolle. Für die Ausstellung sind zehn neue Arbeiten auf Papier entstanden, die sich zwischen Collage und Relief bewegen. Sie faszinieren mit ihren fein gesponnenen Linien, floralen Mustern und ihren zarten und dezenten Farben. Korrespondierend dazu hinterlässt eine große Textilarbeit aus gebrauchten und verwitterten Decken mit unterschiedlichen Mustern und Farben einen besonderen Eindruck. Es erinnert an entfernte Fresken, die die Künstlerin reliefartig zueinander in Beziehung setzt. Aber sie erinnern auch an die Menschen, die sie einst beschützt, gewärmt und umhüllt haben. Sie sind Zeugnisse unbekannter Biographien und undefinierbarer Zustände menschlichen Lebens.

Eine Ausstellung, die, obwohl sie hier und da mitunter sehr verstörend wirkt, man unbedingt einmal gesehen haben sollte.

Peter Köster