Beim Häuten der Tomate oder was zum Grassgedicht „gesagt werden muss“

Dr. Waldemar Ritter

Interview des Journals Kabinett mit Dr. Waldemar Ritter am 10. 4. 2012

Kabinett: Sie haben Günter Grass schon sehr früh kritisiert . Was haben Sie gedacht als sie sein Gedicht „Was gesagt werden muss“, gelesen haben?

Ritter: Das ist kein Gedicht. Weder Reim, noch Rhythmus, noch Melodie. Ein miserables politisches Pamphlet, für das mir jedes Verständnis fehlt. Das Gedicht ist literarisch wertlos und politisch verkommen.

K: Der Mann ist Literatur Nobelpreisträger

Ritter: Qualität in der Sparte Romanschriftsteller ist noch keine Garantie für gleiche Qualität in der Sparte Lyrik. Aber selbst wenn das so wäre: Ist literarische Qualität denn eine Legitimation dafür, absurde politische Thesen außerhalb jeder Kritik zu stellen?

K: Halten Sie Grass für einen Antisemiten?

Ritter: Nein, Aber Neigungen und Verallgemeinerungen, auf die Antisemiten sich berufen und die sie offen oder unterschwellig ansprechen, davon ist er leider nicht frei. Neigungen die Dinge auf den Kopf zu stellen, kommen dazu. Der iranische Präsident  sagt und will Israel auslöschen und Grass schreibt das Gegenteil. Da gibt es nicht selten motivierende Parallelen zum Rechts-und Linksextremismus in Deutschland.  Zu jenen manchmal dumpfbackenen, manchmal ideologisch intelligenten  Leugnern oder Verschweigern der Geschichte und der Wirklichkeit. In der DDR hatte das Volk 1989 seinen Namen gerufen „Wir sind das Volk“ – „Wir sind ein Volk“ Doch Grass schrieb das Wort Wiedervereinigung mit i ohne e.

K: Gibt es nichts Gutes über ihn zu sagen?

Ritter: Sein erstes Buch „Die Blechtrommel“ gehörte zum Besten, was ich damals gelesen habe

K: Grass meint , das man Israel und die Juden nicht kritisieren dürfe…

Ritter: Ich habe im Telefonbuch nachgeschaut und kein „man“ gefunden
vielleicht verwechselt Grass Meinungsfreiheit mit Verleumdung, Beleidigung und Unwahrheit.

Sein Problem ist , dass nicht nur er, sondern alle in unserer res publika ihre Meinung frei äußern  können und die meisten  sehen das Meiste  anders als Herr Grass. Die Situation im mittleren Osten ist so komplex, dass er  auch  Politikern aus der dritten Reihe  mit seinem Machwerk nicht das Wasser reichen kann.

K: Die israelische Regierung hat Grass ein Einreiseverbot ausgesprochen…

Ritter: Ich kann verstehen, das Grass nach alledem in Israel  nicht willkommen ist. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wen wir in Deutschland nicht gerne einladen würden. Ein Verbot hat selbst die gegenwärtige israelische Regierung nicht nötig. Grass wurde bei seinem zweiten und letzten Besuch 1971 in Israel nicht ohne Grund mit Tomaten beworfen. Das lag wohl weniger an ihm – seine SS Zugehörigkeit hatte er ja verschwiegen – als an den damals noch starken Vorbehalten gegen alles Deutsche.  Doch Grass hat das anscheinend persönlich genommen. Und das prägt seine Haltung noch heute. So kommt also beim Häuten einer Tomate heraus: Wer mit Tomaten schmeißt, der darf sich nicht wundern, wenn Iran ihm mit Raketen droht.

K: Was unterscheidet uns eigentlich von Israel?

Ritter: Wir sind durch unsere Geschichte zwei Seiten derselben Medaille. Grass hat nicht begriffen, dass die Deutschen nie mehr Dulder der Täter und Israel nie mehr Opfer sein wollen.

K: Was würden Sie Grass raten?

Ritter: Ich weiß nicht, ob ihm noch zu raten ist. Wenn doch, sollte er  mit dem vielleicht noch übrig gebliebenen Rest , „Mit letzter Tinte“ glaubhaft um Entschuldigung bitten, bei den Deutschen und bei Israel.

Der Politikwissenschaftler und Historiker Dr. Waldemar Ritter war über 30 Jahre für die innerdeutsche Kultur des Bundes verantwortlich.

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