Arp Museum zeigt Wiederentdeckung Antonius Höckelmann – Sammlung Arp und Künstlerhaus Balmoral komplettieren das Ausstellungsprogramm 2021

Lydia Nüüd schuf diese grandios gehäkelte, farbenprächtige Raum-Installation © Peter Köster

Es gibt Künstlerinnen und Künstler, die trotz eines gewissen Bekanntheitsgrades nie die ganz große Bühne erklommen haben. Zu diesen zählt Antonius Höckelmann. Zu Unrecht sind die Werke des Kölner Künstlers in Vergessenheit geraten, obwohl sie in bedeutenden Ausstellungen der 1980er Jahre, u.a. auf der documenta 6 und 7 gezeigt wurden – zusammen mit den Malerkollegen Georg Baselitz, Markus Lüpertz und A.R. Penck. Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck hat es sich zur Aufgabe gemacht, Antonius Höckelmann wiederzuentdecken. Das Haus widmet ihm eine umfangreiche Ausstellung: Thema „Alles in allem“. Die Ausstellung endet am 24. Mai 2021.

„Außenseiter“ in der Deutschen Kunstszene

Bis heute gilt Antonius Höckelmann (1937–2000) als ein „Außenseiter“ in der deutschen Kunstszene. Mit expressiven, dynamischen und starkfarbigen Arbeiten nimmt der Künstler jedoch eine besondere Position in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein. Sein vielfältiges und innovatives Schaffen soll in dieser vom Arp Museum und der Kunsthalle Bielefeld gemeinsam konzipierten retrospektiven Ausstellung mit rund 80 Zeichnungen, Gemälden, Reliefs und Skulpturen eine lang verdiente Würdigung erfahren. Die Ausstellung ermöglicht hat eine umfangreiche Schenkung der Kölner Galeristin und Sammlerin Ute Mronz.

Ein überbordender Kosmos entsteht

Der Ausstellungstitel „Alles in allem“ bezieht sich auf Antonius Höckelmanns Gesamtwerk, bei dem jede Arbeit formal eine Beziehung zur vorhergehenden hat und sich aus dieser weiterentwickelt. Die Vielfalt seiner Medien reicht von der Zeichnung bis zur Skulptur, vom Holzrelief bis zum Gemälde und im Material von Gips, Steinguss, Aluminium, Leim, Gaze, Stahlwolle, Styropor bis Bronze und von Tusche, Grafit, Buntstift über Wachskreide bis zu Acryl und Farbsprays. In der Wiederholung von Motiven oder der Arbeit in Serien wird anschaulich, wie Höckelmann sein Gespür für das Zusammenspiel von Linie, Farbe und Form erprobt und verfeinert. „Die Ausstellung im Neubau des Museuems macht grundlegende Aspekte seines Schaffens durch eine Verbindung formaler und motivischer Zusammenhänge anschaulich und setzt seine kraftvollen zeichnerischen, malerischen und plastischen Werke exemplarisch in Beziehung zueinander. Wuchernd, wachsend und sich immer wieder durch Übermalungen und erweiterndes Plastizieren transformierend, entsteht ein scheinbar überbordender Kosmos, den der Künstler jedoch immer im Zaume hält. Niemals verliert er dabei den Überblick. Vielmehr entsteht ein wohlgeordnetes Ganzes, das nicht dem Chaos, sondern dem Kompositionsgedanken gehorcht. So surrealistisch seine Arbeiten wirken mögen, Höckelmann geht bei ihrer Entstehung immer überlegt und kontrollierend vor“, so Jutta Mattern, Kuratorin der Ausstellung.

Intensiver Blick in  seine Schaffensphasen

In Oelde/Westfalen geboren und zum Holzbildhauer ausgebildet, studiert Antonius Höckelmann an der Hochschule für bildende Künste in Berlin Bildhauerei bei Karl Hartung. Im Jahr 1970 zieht er nach Köln und prägt über drei Jahrzehnte hinweg die rheinische Kunstszene mit. Ebenfalls 1970 verbringt er einen mehrmonatigen Studienaufenthalt im Künstlerbahnhof Rolandseck. Die Ausstellung „Alles in allem“ ermöglicht genau 50 Jahre später an eben diesem Ort einen intensiven Einblick in sämtlichen Schaffensphasen des Künstlers. Höckelmanns Werk zeichnet sich durch große mediale Vielfalt aus, bei dem nicht nur formal, sondern inhaltlich-motivisch schließlich alles in allem in einem einzigartigen Kosmos verwoben ist. Ein immer wiederkehrendes großes Thema im Werk von Antonius Höckelmann, der um das Triebhafte und seine Nähe zu Prostituierten keinen Hehl machte, ist das der Frau. Männerfantasien ließ er freien Lauf und spielte dabei auf der Klaviatur weiblicher Klischees: Da sieht man den lasziven Vamp, die männermordende Judith, die Mächtige und die Ungezügelte. Maskenhafte, entpersonalisierte Gesichter, die den Fotografien unzähliger Zeitschriften entstammen beherrschen die Leinwände. Es gibt auch variationsreiche Tusche- und Bleistiftzeichnungen von Porträts und Akten, bei denen er leisere Töne anschlägt. Sein besonderes Interesse galt den Pflanzen, und Pferderennen, Golf und Football und dem damit verbundenen Thema der Bewegung.

Golferin auf Akt, Vogel und Blumen: Antonius Höckelmann, 1993, Sammlung Mronz © VG Bild-Kunst, Bonn 2020. © Peter Köster

Offener Dialog mit den beiden Hauspatronen

Ebenfalls im Neubau wird die Ausstellung „Immer wandelt sich die Schönheit“ aus der Arp-Sammlung gezeigt. (Laufzeit: 11.Arpril). Die wegweisende Bedeutung der Werke von Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp als unverzichtbarer Beitrag der organischen und geometrischen Abstraktion des frühen 20. Jahrhunderts ist unumstritten. Besonders eindrucksvoll wird die frappierende Aktualität ihrer Werke im Kontext aktueller Künstlerpositionen. So treten in der Sammlungspräsentation drei Stipendiatinnen des Künstlerhauses Schloss Balmoral (Bad Ems) in einen offenen Dialog mit den beiden Hauspatronen und schaffen auf diese Weise eine einzigartige Berührung zwischen Klassischer Moderne und Gegenwartskunst.

Meisterhaft verstand es Sophie Taeuber-Arp in frühen textilen Entwürfen im kreativen Umfeld der Avantgarde, die Trennung zwischen angewandter und freier Kunst aufzuheben. Gleichermaßen eindrucksvoll gelingt es Sarah Ama Duah die Grenzen zwischen Bildhauerei und Mode zu verwischen. Schließlich schlägt Lydia Nüüd mit ihrer für die Ausstellung geschaffenen Arbeit sogar einen Bogen zwischen dem Œuvre beider Hauspatrone. Sie erobert mit einer grandios gehäkelten, farbenprächtigen Installation den Raum und erzeugt sowohl eine assoziative Verknüpfung mit Arps Prinzip der organischen Wandelbarkeit und mehr noch mit den verschlungenen Linienbildern Taeuber-Arps. Sophie Taeuber-Arp war mit ihren klaren Ordnungen in erster Linie eine Schlüsselfigur der geometrischen Abstraktion. Während sie in der Jugend mit Begeisterung Kostüme für Maskenbälle entwirft, bestimmen während ihrer Zeit als Lehrerin an der Kunstgewerbeschule in Zürich unvergleichliche Textilgestaltungen und Perlenarbeiten ihr Werk. Die progressiven Entwürfe der Künstlerin inspirieren namhafte Modedesigner bis in unsere Zeit. So etwa 2015 Karl Lagerfelds Kollektion für „Fendi“. In der dazugehörigen Werbekampagne „Arty Puppets“ werden nicht nur die monumentalen Nachbildungen von Taeuber-Arps avantgardistischen Marionetten zum Blickfang, sondern auch ihre ausdrucksstarken Kreisreliefs.

Karl Lagerfeld ließ sich für seine Fendi-Kollektion von Sophie Taeuber Arp inspirieren © Peter Köster

Interaktion mit dem menschlichen Körper

Spannungsvolle Schnittstellen ergeben sich durch inhaltliche Anknüpfungspunkte an die Stipendiatinnen und Stipendiaten-Ausstellung: „Luxus und Glamour“, die in den klassizistischen Bahnhofsräumen in vielschichtiger Weise das Thema Kunst und Mode aufgreift. So stehen Alexandra Deutschs performative Stoffskulpturen ganz in der Tradition der naturnahen Formensprache von Hans Arp. Sie behaupten sich sowohl als Objekte an sich wie auch in der Interaktion mit dem menschlichen Körper. Dies macht eine eigens erstellte Videoperformance bildhaft erfahrbar. Die bis zum 24. Mai gezeigte Schau beschäftigt sich mit dem facettenreichen Verhältnis zwischen Mode, Schmuck und bildender Kunst. Die wechselseitige Annäherung dieser Bereiche beruht auf einem lebhaften Interesse an ästhetischen Fragestellungen und an dem Spiel mit Bedeutungen, die dem jeweils anderen zugeschrieben werden. Gegenwärtig sind innerhalb der Mode- und Kunstwelt die Übergänge zwischen kommerzieller Ausrichtung und künstlerischer Praxis oft fließend geworden. Die ausgestellten Werke verbildlichen unterschiedliche Aspekte dieses Crossovers, indem sie Mode und Schmuck als (un)tragbare Kleidung und Accessoires, Luxusobjekt, Kunstwerk oder als System entwerfen und hinterfragen.

Hängende Figur © Peter Köster

Luxus als wichtige inhaltliche Klammer

Ein Großteil des Geldes, das in Kunstwerke, Museumsbauten, Sammlungen und Auftragsarbeiten investiert wird, stammt derzeit häufig von großen Unternehmen der Luxusgüterbranche und prägen nicht nur die Mode- und Schmuckindustrie, sondern auch den Kunstbetrieb. Diese Entwicklung ist eng mit der Frage verknüpft, was Luxus eigentlich ist und ob Kunst als Luxus bezeichnet werden kann. Die jungen Künstlerinnen- und Künstler setzen sich mit der Frage auseinander, welche materiellen und ästhetischen Ideen, welche Verhaltensweisen und welche gesellschaftlichen, individuellen und moralischen Vorstellungen damit verbunden sind. Die Frage: „Was ist Luxus“ bildet daher eine wichtige inhaltliche Klammer für die 17 unterschiedlichen in der Ausstellung vertretenen künstlerischen Positionen. Zu sehen sind die Werke der Balmoral-Stipendiatinnen und Stipendiaten, die sich konkret mit dem Jahresthema „Luxus und Glamour? Künstlerische Perspektiven in Mode und Schmuck“ beschäftigt haben, sowie die der Stipendiatinnen und Stipendiaten des Landes Rheinland-Pfalz, die in ihrer Themenwahl frei waren. Die Präsentation umfasst daher sowohl künstlerische Kleidungs- und Schmuckstücke wie auch Werke, die auf unterschiedlichen Medien wie Malerei, Performance, Skulptur, Video, Fotografie und Installation beruhen. Gemeinsam ist vielen Arbeiten, dass sie sich mithilfe unterschiedlicher künstlerischer Strategien mit dem Verhältnis zwischen Kleidung und Körper, Individualität und Kollektivität, Identität und Gender sowie Körper und Raum auseinandersetzen. Peter Köster