30 Jahre Kunstmuseum Bonn – Jubiläumsprogramm reicht von Maria Lassnig bis zu Max Ernst und Kunstfond

Albert Oehlen Raum für phantasievolle Aktionen, 1983 Öl, Lack, Spiegel auf Leinwand Kunstmuseum Bonn © VG Bild-Kunst, Bonn 2021. Foto: Reni Hansen, Kunstmuseum Bonn

Das Kunstmuseum Bonn feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen und „beschenkt“ sich mit einem spannenden Jahresprogramm. Zu den besonderen Highlights zählen die großangelegte hochaktuelle Ausstellung zum Thema „Luft als künstlerisches Material“, eine Werkschau der bedeutenden österreichischen Malerin Maria Lassnig und eine Themenschau zu Max Ernst und dem künstlerischen Umgang mit der Natur.

Markante Persönlichkeit

Die Auftakt macht die Ausstellung „Maria Lassnig: Wach bleiben“. (10. Februar bis 8. Mai). Die Schau spannt einen Bogen von den frühesten Werken der Künstlerin (1919–2014) bis hin zu ihrem letzten großformatigen Bild ihres OEuvres. Die im Titel angedeuteten Konnotationen (Nebenbedeutungen) von „nicht müde werden, sich nicht ausruhen“ und zugleich von geistig „aufmerksam, neugierig bleiben“ charakterisieren nicht nur Lassnigs Werk, sondern auch ihre durchaus markante Persönlichkeit, heißt es dazu in einem Ausstellungstext. Mit über 40 Arbeiten zeigt das Haus eine signifikante Auswahl ihrer Werke, deren motivischer Leitfaden die Auseinandersetzung mit sich selbst, ihrer (Körper-)Wahrnehmung sowie der Wahrnehmung des „Anderen“ bildet. Die kreative Zerrissenheit ihres Denkens spiegelt sich in den einzelnen thematisch gefassten Ausstellungsräumen wider z. B. in Sprache vs. Sprachlosigkeit oder Fotografie vs. Malerei.

„Welt in der Schwebe“

„Welt in der Schwebe – Luft als künstlerisches Material“ ist die Ausstellung überschrieben, die vom 24. Februar bis 19. Juni gezeigt wird. Während Luft im alltäglichen Leben normalerweise als Selbstverständlichkeit betrachtet wird, erscheint sie in aktuellen gesellschaftlichen Diskursen als zentrales Element: Seit der Coronakrise tragen wir Mund-und-Nasen-Schutz, um andere vor unserer Atemluft zu schützen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen, welche Rolle Aerosole bei der Übertragung des Coronavirus spielen, und „Fridays for Future“ kämpft für saubere Luft gegen den Klimawandel. Im Fokus der Ausstellung steht Luft als Träger von Formen und Ideen. Als solcher tritt sie seit der Moderne in den bildenden, angewandten, aber auch darstellenden Künsten in Erscheinung. So ließ Andy Warhol seine „Silver Clouds“ im Raum umherschweben. In den 1970er-Jahren tauschten Marina Abramović und Ulay ihre Atemluft bis kurz vor der Ohnmacht aus, und Yoko Ono bot Luft handlich verpackt im Kaugummiautomaten an. Bis zu seinem Tod schuf der Zero-Künstler Otto Piene spektakuläre „Inflatables“ und „Sky Events“.

Max Ernst Tremblement de terre, 1925 Öl auf Leinwand Kunstmuseum Bonn
VG Bild-Kunst, Bonn 2021 Foto: David Ertl

Neupräsentation der Sammlung

Ab 8. Mai zeigt das Kunstmuseum einen umfassenden Blick auf die Sammlung der Kunst der Gegenwart, die in 20 Räumen aus verschiedenen Perspektiven neu präsentiert wird. Auch wenn das Haus an der Museumsmeile in der Präsentation als ein besonderer Ort der Malerei sichtbar ist, sind Installation, Film und Foto wesentlich an der Argumentation beteiligt. Die Ausstellung umfasst für das Profil der Sammlung wichtige Werke, die durch Neuerwerbungen, Schenkungen und Leihgaben aus Privatsammlungen ergänzt werden. Sie verbindet monografische und thematische Werkgruppen von Sigmar Polke bis Monika Baer über Tamara Grcic, Shannon Bool, Norbert Schwontkowski bis John Bock. So entsteht ein komplexer Parcours der Werke: Äußere und innere Räume sind zu begehen, werden kartografisch vermessen, zu unsicheren Interieurs geöffnet. Das Museum wird zum „Raum für phantasievolle Aktionen“ (Albert Oehlen).

Zeitgenössische Fotografie

Seit über 50 Jahren sammelt das Kunstmuseum neben anderen künstlerischen Medien auch zeitgenössische Fotografie. Über 400 Werke und Serien sind dabei zusammengetragen worden, die insgesamt mehrere Tausend Fotografien umfassen. Im Rahmen des Förderprogramms „Forschungsvolontariat Kunstmuseen NRW“ wurde die Sammlung systematisch aufgearbeitet, erforscht und wird im Jubiläumsjahr mit einer Sonderausstellung neu präsentiert. Die Präsentation „Deutscher Kaviar“ (Laufzeit: 21. Juli bis 16. Oktober), sucht in der vielseitigen Sammlung des Kunstmuseums nach Verknüpfungen von Fotografie, Kunst, Ökonomie und Gesellschaft und offenbart dabei Zusammenhänge und Differenzen zwischen lokalen Kunstszenen und globalen Finanzmärkten, zwischen Lohnarbeit und künstlerischer Tätigkeit, zwischen Individuum und neoliberalem Subjekt sowie fotografierter Kunst und künstlerischer Fotografie. Ausgestellt werden Werke u. a. von Hilla und Bernd Becher, Lewis Baltz, Andreas Gursky, Astrid Klein, Darcy Lange, Katharina Sieverding und Thomas Struth.

„Glanzstück“ Patricia Thoma aus der Serie Papierkleider (Detail), 2019-2021 Zeitungspapier, Vlieseline, Acrylfarbe © Patricia Thoma

Surreales Universum

Über das Jahr 2022 hinaus, genauer bis zum 22. Januar, lädt die Ausstellung   „Max Ernst und die Natur als Erfindung“ (Start: 13. Oktober) ins Kunstmuseum ein. Die Präsentation untersucht das Werk von Max Ernst als Entwurf einer alternativen Naturgeschichte im Kontext der Kunst seiner Zeit bis in die Gegenwart. In seiner „Histoire Naturelle“ von 1926 hat Max Ernst dazu selbst ein Modell formuliert, das von der Entstehung der Welt, über Flora und Fauna zum Menschen und zum Kosmos reicht. „Natur wird als rovozierender und inspirierender Raum des Möglichen erfasst.“ Mit der Hilfe von Techniken wie Collage, Frottage oder Décalcomanie erfand Max Ernst ein so verführerisches wie beunruhigendes surreales Universum, eine parallele Bildwelt, die die gleiche Wahrscheinlichkeit und Überzeugungskraft besitzt wie die scheinbar wissenschaftlich bestätigte Natur. Die Auswahl der Gemälde, Zeichnungen, druckgrafischen Blätter, illustrierten Bücher und Fotografien bezieht Künstlerinnen und Künstler wie Hans Arp und Paul Klee, Rebecca Horn und Thomas Ruff sowie andere ein, die die Natur ebenfalls als das zugleich vertraute und fremde Andere entwerfen. Die Ausstellung nutzt die umfangreichen Bestände des Kunstmuseums Bonn (Sammlung Bolliger, Sammlung Wilfried und Gisela Fitting) und erweitert sie um bedeutende Leihgaben aus Museen und Privatsammlungen.

Junge Kunst aus Polen

In diesem Jahr wird der „Dorothea von Stetten-Kunstpreis bereits zum 20. Mal verliehen. Neun polnische Kuratorinnen und Kuratoren haben junge Positionen ihres Landes vorgeschlagen. Zuza Golińska, Diana Lelonek und Daniel Rycharski wurden von der Jury, bestehend aus Adam Budak (Kestner Gesellschaft, Hannover), Ania Czerlitzki (Freie Kuratorin), Fatima Hellberg (Bonner Kunstverein), Marie Matusz (Teilnehmerin des Dorothea von Stetten-Kunstpreises 2020) und Aneta Rostkowska (Temporary Gallery, Köln) ausgewählt, ihre Arbeit im Kunstmuseum Bonn zu präsentieren. Am Tag der Eröffnung (16. Juni) entscheidet die Jury, wer mit dem Preis, der mit 10.000 Euro ausgelobt ist, ausgezeichnet wird. Seit 1984 wird er Kunstpreis im Zwei-Jahres-Rhythmus vergeben. Die Auszeichnung richtet sich seit 2014 an Nachwuchskünstlerinnen und Nachwuchskünstler aus den Nachbarländern Deutschlands. In der letzten Ausgabe wurde die in der Schweiz lebende Hannah Weinberger für ihre Videoarbeit „Is it and are you – bound?“ (2020) ausgezeichnet.

Lang/Baumann Comfort #17, 2018 Polyestergewebe, Gebläse Installationsansicht: le 109, Pôle de cultures contemporaines Nizza 2018 © und Foto: L/B

„Ausgezeichnet“

Jeweils im Herbst bespielen ehemalige Stipendiatinnen und Stipendaten des Kunstfonds für sechs Wochen einen Raum in der Sammlung des Kunstmuseums. „Ausgezeichnet“ nennt sich die die Ausstellungsreihe. Sie ist ein gemeinsam mit der Stiftung Kunstfonds konzipiertes Ausstellungsformat. Die Ausstellung, sie wird vom 27. Oktober bis 8. Januar 2023 gezeigt, wirft einen musealen Blick auf vom Kunstfonds geförderte künstlerische Positionen. Den Auftakt bildeten 2016 Mischa Leinkauf und Matthias Wermke, die per Foto und Video ihre Aktionskunst dokumentierten. 2017 reflektierte die Fotografin Viktoria Binschtok das Medium Fotografie vor dem Hintergrund des unendlichen Stroms digitaler Bilder und stellte grundsätzliche Fragen nach dem Umgang mit Bildern und ihren gesellschaftlichen und politischen Funktionen. 2018 schuf die Bildhauerin Frauke Dannert eine eindrucksvolle Wandarbeit, die den „White Cube“ grundlegend veränderte. 2019 verwandelte Agnes Meyer-Brandis den Ausstellungsraum in ein Labor an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft, während 2021 die Künstlerin Sung Tieu die
Grenzbereiche zwischen Fiktion und historischen Fakten auslotete. Anfang 2022 wird die Entscheidung getroffen, welche Künstlerlin oder welcher  Künstler im Jubiläumsjahr des Kunstmuseums den 6. Teil der Ausstellungsserie bespielen wird. Peter Köster