30 Jahre Bundeskunsthalle: Neue Installation von Bettina Pousttchi – „The Curve“ auf dem Dachgarten

Wahrzeichen der Bundeskunsthalle sind die drei gekachelten Kegel. Foto: Peter Köster

Die Nutzung der Steilkurve erfolgt auf eigene Gefahr und eigenes Risiko: „The Curve“, so nennt die Künstlerin Bettina Pousttchi ihre begehbare Skulptur auf dem Dachgarten der Bundeskunsthalle. Die Installation ist Teil des 30-jährigen Jubiläums des Hauses.

Drei gekachelte Dachkegel

Rückblende: Vor 30 Jahren, am 17. Juni 1992, wurde die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland – heute bekannt als Bundeskunsthalle – der Öffentlichkeit präsentiert. Sichtbares Zeichen sind die drei gekachelten Dachkegel. Sie symbolisieren die drei großen künstlerischen Sparten Malerei, Skulptur und Architektur. Für Letzteres steht der Name Gustav Peichl. Der Österreicher schuf mit der Bundeskunsthalle (BKH) eine postmoderne Architektur, die u.a. drei große Ausstellungsorte, kleinere Kabinette, sowie das Forum vereint. Zusammen mit der bespielbaren Dachfläche, nicht zuletzt dem Museumsplatz, verfügt die BKH über hervorragende Bedingungen, um die unterschiedlichsten Ausstellungen, Projekte und Formate zu realisieren.

Fast 300 Ausstellungen

„Ich sehe die Bundeskunsthalle als ein pulsierendes Kunst- und Kulturzentrum
für eine Stadt und Region, die wach und international ist, divers und neugierig“, so die Intendantin Eva Kraus. Die Bundeskunsthalle präsentiere Kunstwerke, Exponate, Artefakte aus aller Welt, aktuelle und immer gesellschaftlich relevante Themen, Unentdecktes, Spannendes. Die Bundeskunsthalle verstehe sich als ein Haus der Vermittlung und Inklusion, das unermüdlich seine Türen weit öffnet. Und dieses tat das Haus in den zurückliegenden 30 Jahren hinlänglich, wie die rund 20 Millionen Besucherinnen und Besucher belegen, die fast 300 Ausstellungen besuchten.

Standfest in der Steilkurve: Künstlerin Bettina Pousttchi (links) und Bundeskunsthallen-Intendantin Eva Kraus. Foto: Peter Köster

„Tutenchamun“ 2004/2005

Die thematische Bandbreite der oft disziplinübergreifenden Ausstellungen ist nahezu einzigartig für ein einziges Haus und reicht von A: wie Archäologie über Architektur, Design, Film, Fotografie, Gärten, Geschichte, Kino, Kulturgeschichte, Kunst, Medien, Mode, Populärkultur, Tanz, Umwelt bis zu Z wie Zeitgeschichte. Viele Ausstellungsthemen der zurückliegenden Jahre sind heute wieder oder noch brandaktuell wie z.B. das Klima, das schon 1993 in der Ausstellung „Erdsicht. Global Change“ oder 1997 in „Arktis – Antarktis“ behandelt und 2018 in „Wetterbericht“ erneut verhandelt wurde.  Kulturhistorische und archäologische Ausstellungen erfreuen sich bis heute stets großer Beliebtheit beim Publikum, was sich auch an den drei bisher erfolgreichsten Ausstellungen – „Tutenchamun“, 2004/2005, „The Guggenheim Collection“ 2006 und „Gold aus dem alten Peru. Die Königsgräber von Sipán“ 2000/2001 – ablesen lässt.

Highlights aus 30 Jahren

Mit einigen Ausstellungen griff die Bundeskunsthalle in der deutschen Ausstellungslandschaft erstmals etwas auf bzw. setzte Maßstäbe, zum Beispiel mit der virtuellen Rekonstruktion und Computeranimation im Jahre 2000 in der Ausstellung „Synagogen in Deutschland“, mit der Inklusion bei Konzeption und Realisation von „Touchdown.“ Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom (Trisomie 21) 2016 oder der Auseinandersetzung mit NS-Kunstraub und damit in Zusammenhang stehenden Sujets bei Bestandsaufnahme Gurlitt im Jahr 2017. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Hier einige  Highlights: „Das Bauhaus“ (2016), Niki de Saint Phalle (1992), Gerhard Richter (1993), Sigmar Polke, (1997), Tony Cragg (2003), Paul Klee (2003), Georg Baselitz (2004), Heinz Mack (2011), Anselm Kiefer (2013), Hanne Darboven (2015), Petrit Halilaj (2015), Isa Genzken (2016), Katharina Sieverding (2017), Marina Abramović (2018), Bettina Pousttchi (2022) Marlene Dietrich (1995), Rainer Werner Fassbinder (2021), Romy Schneider (2012, „Gärten Max Liebermann. Der Künstlergarten“ (2011), „Kleopatra. Der orientalische Garten“ (2013) „Der persische Garten. Die Erfindung des Paradieses“ (2017), Goethes Gärten“ (2019). Hannah Arendt (2020), Simone de Beauvoir (2022), Ludwig van Beethoven (2019), Alexander von Humboldt (1999), „Outer Space“ (2014), „Das Gehirn. In Kunst & Wissenschaft“ (2022). „Van Gogh bis Beuys“ (2005), „Ménage à trois. Warhol, Basquiat, Clemente“ (2012), Villa Romana 1905–2013, Karl Lagerfeld. „Modemethode“ (2015), „Dress Code“ (2021) Tanz: „Pina Bausch und das Tanztheater“ (2016).

„The Curve“ aus anderer Perspektive. Foto: Peter Köster

Fiat-Teststrecke in Turin

Aktuell realisiert Bettina Pousttchi ihre 35 Meter lange und vier Meter hohe skulpturale Arbeit „The Curve“ auf dem Flachdach der der Bundeskunsthalle. Sie reagiert damit auf die Architektur des Gebäudes von Gustav Peichl und dessen Verständnis des Daches als „Fünfte Fassade“ und als „weiteren Ausstellungsraum“. In der Nordwestecke platziert, schmiegt sich die Skulptur in Form einer begehbaren Steilkurve dynamisch in den Umraum ein. Markierungen, ähnlich denen einer Fahrbahn, führen Besuchende auf das Objekt zu und verbinden es assoziativ mit dem urbanen Kontext der Straße und dem Stadtraum. Die Künstlerin nimmt mit „The Curve“ auch Bezug auf die legendäre Teststrecke für Autos, die der Fiat-Konzern auf dem Dach seines 1923 eröffneten Werks im Turiner Stadtteil Lingotto gebaut hatte. Sie stand in ihrer Zeit für Beschleunigung, Bewegung und Fortschritt und damit auch maßgeblich für die Utopie der Moderne. „Bettina Pousttchis bautypologische Transformation einer Autokurve in eine Fahrradkurve lässt eine Skulptur entstehen, die eine offene Bühne für Bewegung und Begegnung bietet, und lässt „The Curve“ zu einem künstlerischen Statement für eine fluide Gesellschaft werden. So ist die ausschließlich begehbare Großskulptur auch eine Reflexion über fließende Veränderungen und Nachhaltigkeit und lässt die Grenzen von Realität und künstlerischer Fiktion verschwimmen“, so Eva Kraus.

Palast der Republik

Der künstlerische Fokus der Arbeit von Bettina Pousttchi liegt in der Auseinandersetzung mit Strukturen des öffentlichen Raumes und umfasst neben Skulptur und Fotografie auch ortsspezifische Interventionen mit Mitteln der Fotografie im Maßstab von Architektur. So war zum Beispiel „Echo“, 2009, eine monumentale Fotoinstallation auf der gesamten Fassade der Temporären Kunsthalle Berlin zu sehen, die sich auf den Palast der Republik bezog. Mit „The Curve“ realisiert die Künstlerin zum ersten Mal auch eine Skulptur im Maßstab von Architektur, die die Besucherinnen und Besucher zur Interaktion und Partizipation einlädt. Peter Köster