Bonn, 06. Mai 2025 | Sorge um zunehmende Belastung
Die Gewerkschaft Nahrung‑Genuss‑Gaststätten (NGG) warnt vor einem Rückschritt in der Arbeitszeitpolitik und sieht erhebliche Belastungen für Beschäftigte in Bonn und ganz Nordrhein‑Westfalen. Gastronomie, Pflege und Lagerarbeit zählen zu den besonders betroffenen Branchen. Die geplante Flexibilisierung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit durch die neue Bundesregierung könnte Beschäftigte körperlich überfordern, familiäre Abläufe stören und gesellschaftliche Teilhabe einschränken.
NGG: Gefahr wachsender Mehrarbeit
„Gerade in Hotels, Gastronomie und Logistik droht eine Entwicklung, die viele Beschäftigte an ihre Grenzen bringt“, sagt Marc Kissinger, Geschäftsführer der NGG‑Region Köln. „Wenn die tägliche Regelarbeitszeit durch eine Wochenhöchstgrenze ersetzt wird, geraten viele in abrufbare Arbeitsverhältnisse ohne verlässliche Planung und ohne echte Erholung.“
„Mehr Überstunden statt neuer Jobs“
Die NGG kritisiert, dass die vorgesehene Arbeitszeitflexibilisierung nicht zu besseren Arbeitsbedingungen führt, sondern bestehendes Personal zusätzlich beansprucht. Steuerfreie Überstunden könnten kurzfristig attraktiv wirken, seien jedoch langfristig ein Anreiz zur Selbstausbeutung: „Unternehmen sparen sich Neueinstellungen, während die bestehenden Teams am Limit arbeiten“, so Kissinger.
Belastbare Zahlen, absehbare Folgen
Laut Statistischem Bundesamt wurden in NRW im Jahr 2023 rund 145,8 Millionen Überstunden geleistet. Nach Einschätzung der NGG dürfte dieser Wert weiter steigen. Die Folgen seien klar: steigende Unfallgefahr, sinkende Leistungsfähigkeit und immer weniger Zeit für Familie, Ehrenamt und persönliche Erholung. „Wer zehn oder mehr Stunden täglich arbeitet, zahlt einen hohen Preis – körperlich, seelisch und sozial. Ein geregelter Arbeitstag ist kein Luxus, sondern eine Grundlage für eine gesunde und funktionierende Gesellschaft“, erklärt Kissinger.
Appell an die Abgeordneten
Die NGG fordert die Bundestagsabgeordneten aus der Region auf, sich gegen die geplanten Änderungen zu stellen: „Bonn braucht verlässliche Arbeitszeiten statt Dauerstress auf Abruf. Wer den Fachkräftemangel wirklich angehen will, muss Arbeitsbedingungen verbessern, anstatt zu verschärfen.“
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Anm. d. Red.
Der Streit um längere Arbeitszeiten ist mehr als eine Detailfrage der Tarifpolitik. Er berührt das normative Zentrum unserer Republik: das Versprechen des Grundgesetzes, Freiheit und Würde des Einzelnen durch einen Sozialstaat zu schützen, der wirtschaftliche Dynamik mit sozialer Gerechtigkeit verbindet. Darin liegt eine historische Chance. Wer jetzt den Mut hat, sich auf die Ordnungsidee einer aktualisierten, digital geprägten Sozialen Marktwirtschaft zurückzubesinnen, kann die Arbeitswelt so gestalten, dass Leistung, Gesundheit und Teilhabe vernünftig miteinander wirken, statt gegeneinander ausgespielt zu werden.
Verlässliche Arbeitszeitgrenzen sind keine Fessel, sondern ein Wettbewerbsfaktor; sie sichern qualifizierte Beschäftigte, fördern Innovation und bewahren den sozialen Frieden. Dieses Prinzip hat bereits seit 1949, in den Aufbaujahren der Bundesrepublik, funktioniert, als klar geregelte Arbeitszeiten Wachstum und gesellschaftliche Stabilität ermöglichten.
Zugleich bietet das neue Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung die Chance, Künstliche Intelligenz gezielt dort einzusetzen, wo Fachkräfte fehlen, etwa bei Routinetätigkeiten im Alltag. Automatisierung kann so Produktivitätslücken schließen, ohne die Arbeitszeitgrenzen zu lockern, sofern Qualifizierung, Mitbestimmung und Datenschutz von Anfang an gesetzlich gesichert sind.
Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften haben es in der Hand, diese Grundfeste neu zu verankern und unserem Land so Stabilität und Zukunftskraft zu geben.