Premiere für französische Malerin Mathilde Tardif im Verborgenen Museum

Alle Fotos © Das Verborgene Museum in Berlin-Charlottenburg

Berlin. Das Verborgene Museum in Berlin-Charlottenburg zeigt erstmals Werke der französischen Malerin Mathilde Tardif in einer öffentlichen Einzelausstellung. Nach der corona-bedingten Absage im vergangenen Jahr präsentiert das Haus rund 70 kleinformatige Aquarelle und Gouachen der Malerin. Die Schau läuft vom 23. April bis 22. August 2021.

Ausbildung an der Akademie Julian

Mathilde Tardifs Oeuvre ist sowohl in Deutschland als auch in Frankreich völlig unbekannt und nicht aufgearbeitet. Die Ausstellung mit Werken der in Marseille geborenen und in Deutschland gestorbenen Malerin Mathilde Tardif (1872-1929) ist die erste Begegnung mit ihren Gemälden in einer Einzelausstellung. Annähernd 70 Werke, zwischen 1897 und 1929 entstanden, geben erstmals Einblick in das Werk der in den 1890er-Jahren in Paris an der Académie Julian ausgebildeten Malerin. An der Académie steht Tardif in der Tradition der „Nabis“, einer Gruppe rebellischer junger Kunststudentinnen und Kunststudenten um Maurice Denis; sie geht aber sowohl thematisch als auch malerisch ganz eigene Wege. Die Themen ihrer gesellschaftskritischen Beobachtungen findet sie im Alltag der kleinbürgerlichen und bourgeoisen Gesellschaft und stilistisch lassen sich sowohl Vorbilder bei den Symbolisten wie beim Jugendstil finden.

Alltagsthemen finden Eingang in die Kunst

Es war die Zeit der Dritten Französischen Republik (1870-1940) in Paris, der sprichwörtlichen Hauptstadt der Kunst. Unter dem Einfluss der Impressionisten haben seit Mitte des 19. Jahrhunderts Alltagsthemen Eingang in die Kunst gefunden. Wie Mathilde Tardif beschäftigten auch Theophile-Alexandre Steinlen (1859- 1923) die Verhältnisse der kleinen Leute und Henri Toulouse-Lautrec (1864- 1901) die zwielichtige Welt der nächtlichen Vergnügungen. Die Intimität des kleinen Formats erfordert eine besondere Konzentration bei der Betrachtung des krassen Elends, der von Tod und Todesahnung Gezeichneten sowie der Szenen käuflicher Liebe. Immer wieder beschäftigt sie der bigotte katholische und evangelische Klerus, die Prostituierten und die Liebhaber sowie die elegante Halbwelt der Vergnügungslokale.

Mit in der Berliner Secession vertreten

Zu ihrem Bildrepertoire gehören Darstellungen gesellschaftlicher Außenseiter, Bettler und Obdachlose, kinderreiche, arme Familien und karikaturesk überzeichnete Typen wie der alternde Dandy. Aber auch die kleinen Freuden des Alltags wie der Nervenkitzel beim Auftritt der Zirkusartisten finden sich unter ihren Motiven. Mathilde Tardif kommt um 1900 in das wilhelminische Berlin, wo Künstlerinnen als Malweiber karikiert wurden und noch lange keinen Zugang zur akademischen Ausbildung hatten. Es gelingt ihr aber in der Berliner Secession, dem Forum für die moderne Kunst, ausgestellt zu werden. Zwischen 1901 und 1906 sind u.a. „Die tote Mutter“ (1902), „Hochzeit“ (1903) und „Obdachlos“ (1903) vertreten, drei Werke, die jetzt zum ersten Mal seitdem wieder öffentlich zu sehen sind.

Einige Treffen mit der Kunstförderin Ida Dehmel

1907 heiratet Mathilde Tardif in Berlin den Portrait-Maler Leo Freiherr von König (1871-1944), der zwischen 1894 und 1897 an der „Académie Julian“ studiert hat und den sie in Paris, während ihrer Studienzeit kennengelernt hat. In Berlin nehmen sie gemeinsam am gesellschaftlichen Leben teil, wo sie u.a. regelmäßig den Kunstschriftsteller und Kunstkritiker Julius Meier-Graefe und dessen Frau Anna begegnen und Gerhart Hauptmann, die Kunstförderin Ida Dehmel sowie die Malerin Dora Hitz treffen. Mit dem Ehepaar Meier-Graefe unternehmen sie 1908 eine ausgedehnte Reise durch Spanien. Einige Zeit nach der Scheidung von Leo von König 1920 geht Mathilde Tardif zusammen mit ihrer Tochter Yvonne (1892-1957) und deren Mann, dem Maler Walter Becker (1893-1984), nach Frankreich zurück. 1929 setzt sie auf Gut Woltersdorf, Brandenburg, ihrem Leben ein Ende. Die in der Ausstellung gezeigten kleinformatigen Arbeiten basieren auf einer Mischtechnik aus überwiegend Aquarell mit Tempera und Bleistift, die sie auch mit Pastellkreide und Deckweiß bearbeitet hat. Zusätzlich werden Fotografien und Dokumente zu sehen sein, die das Bild der Malerin, der Mutter und der Ehefrau Mathilde Tardif ergänzen. pk