Brite und Experte für Europäische Gegenwartsgeschichte

Dr. Jürgen Linden, Sprecher des Karlspreisdirektoriums, Karlspreisträger Prof. Timothy Garton Ash und Aachens OB Marcel Philipp bei der Verleihung im historischen Krönungssaal (v.li.). © Stadt Aachen / Andreas Herrmann

Stets am Himmelfahrtstag wird der Internationale Karlspreis im Aachener Rathaus verliehen. Prof. Timothy Garton Ash, weltweit anerkannter Experte für Europäische Gegenwartsgeschichte, der am St. Antony’s College der Universität Oxford lehrt, ist diesjähriger Preisträger. Mit Understatement im Auftritt, doch deutlich in Sprache hat sich der smarte 61-Jährige in englischer und deutscher Sprache an rund 850 Gäste im Aachener Krönungssaal gerichtet. Darunter auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, den vermutlichen kommenden NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet sowie den Kanzlerkandidaten der SPD und Karlspreisträger 2015, Martin Schulz.

Doch bevor die hohe Auszeichnung verliehen wurde, rief Aachens Bischof Dr. Helmut Dieser zum Pontifikalamt in des Kaisers Kirche, den Aachener Dom und erstes deutsches Unesco-Welterbe. Offen plädierte der Bischof für ein säkulares und humanes Europa. Starke Worte, die dem Preisträger wohl gefallen. Sein aktuelles Buch „Redefreiheit“ zeuge von der tiefen Überzeugung des Akademikers und Intellektuellen, dass „Europa Mut erfordert“, sagte Steinmeier in einer leidenschaftlichen Laudatio. „Die große Idee Europa darf nicht im Alltag verblassen.“

Die gespitzte Feder der Wissenschaftler, abseits des Elfenbeinturms, sei gefragter denn je um Europa zu erklären, ermunterte der Bundespräsident den sprachgewandten Karlspreisträger 2017.  Der Brexit sei ein Warnzeichen gewesen, aber „sie bleiben bei uns, wie immer auch Referenden auf der Insel ausfallen werden.“ Garton Ash, so der Bundespräsident in seiner Rede, sei ein unschätzbar wichtiger „Chronist der Realität Europas, seines Wachsens und Werdens und auch seiner Widersprüche“.

Prof. Timothy Garton Ash ist ein Nicht-Brexiter, nimmt aber die Veränderungen, die Europa braucht, ernst: „Es bringt nichts, einfach immer nur ‚mehr Europa, mehr Europa‘ zu fordern. Die richtige Antwort wird oftmals sein, dass wir von diesem mehr, von jenem aber weniger brauchen“, analysiert er im Rahmen der Verleihung – und erhält dafür viel Applaus. Prof. Ash spricht auch hervorragend deutsch, hat das vereinigte Deutschland immer im Blick, mit viel Lob für die Bereitschaft Flüchtlinge aufzunehmen, aber auch der Kritik eines scharfen Analytikers. „Deutschland steht immer noch vor dem alten Problem der ‚kritischen Größenordnung‘ – zu klein, aber doch zu groß, zu groß, aber doch zu klein.“

Englischer Europäer oder europäischer Engländer?

Der gerne als englischer Europäer titulierte Garton Ash wünscht sich außerdem: „Wenn wir unser europäisches Gemeinschaftsgefühl vertiefen wollen, müssen wir lernen, uns gegenseitig als individuelle Europäer zu sehen und anzuerkennen.“  Nach dem besorgniserregenden Erstarken der Populisten in Europa und anderswo in der Welt habe er in den zurückliegenden Monaten mit Freude eine neue Bewegung ausgemacht. „Tatsächlich habe ich noch nie in meinem Leben so viel leidenschaftliches Pro-Europäertum erlebt wie im heutigen Großbritannien, insbesondere in Schottland, in London und unter jungen Menschen“, stellt Garton Ash fest. Die Bewegung „Pulse of Europe“ mache Hoffnung.

Viel hat und wird sich in Europa bewegen: „Der Atem der Geschichte weht uns ins Gesicht“, formulierte Bundespräsident Steinmeier treffend. Mal sehen, jedenfalls hat der Karlspreisträger in einem kleinen blauen Alfa Romeo seinerzeit die Lieder Wolf Biermann mitgesungen. Sprich: Freiheit gefordert.

„Wir stehen zusammen“

Betrüblich war der feige Anschlag in Manchester am Tag vor der Karlspreisverleihung, die Polizei in Aachen zeigte sich gewappnet. Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp erinnerte in seiner Ansprache an den jüngsten Anschlag in England, bei dem vor allem viele junge Menschen ums Leben gekommen sind. Er verband das Gedenken sogleich mit einer klaren Botschaft: „Wir stehen zusammen. Lassen Sie uns die heutige Veranstaltung ebenso den Opfern von Manchester wie auch dem Frieden, der Freiheit und der Demokratie in Europa widmen.“

Und wie urteilte das Publikum, das nach Abreise der Prominenz einen sonnigen Tag rund um Dom und Rathaus genießen konnte.  Ute Ketteniß, Gast im Dom und im Krönungssaal, muss es als ehemalige Schulleiterin wissen, wo die Reise hinführen kann: „Man muss die Jugend für Europa begeistern, viele interessante Vorträge hat vorab das hochkaratige Rahmenprogramm geboten“. Auch dort findet Bildungsarbeit findet statt. (Frank Fäller)

Die Debatte über die Redefreiheit von Prof. Garton Ash gibt es hier: http://freespeechdebate.com

Schreibe einen Kommentar